Politologe von Arnim: Die Angst der Politiker vor der Wählermacht

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Politik Veröffentlicht am 25.06.2008 | Lesedauer: 6 Minuten | Von Ulrich Clauss

Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen -Bonhoeffer
Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim - Verfassungsrechtler


Er gilt als einer der schärfsten Parteienkritiker Deutschlands: Hans Herbert von #Arnim. In seinem Buch "Deutschlandakte" nimmt der Politologe die etablierten Parteien, die Politikfinanzierung und das Diätensystem ins Visier. Auf WELT ONLINE erklärt er, warum Politiker sich vor zuviel Demokratie fürchten.




WELT ONLINE: Ihre jüngste Buchveröffentlichung – "Deutschlandakte" – hat in der Öffentlichkeit, namentlich in einer Hamburger Wochenzeitung, ein zum Teil sehr ablehnendes, Sie persönlich inkriminierendes Echo gefunden. Was denken Sie darüber?

Hans Herbert von Arnim: Ich bin so etwas bisher vor allem von Politikern gewöhnt, die sachlich nichts gegen meine Analysen einzuwenden wissen und dann oft unter die Gürtellinie hauen. Aber auch bei manchen Journalisten gibt es eine Form der Political Correctness, die nicht bereit ist, an die Wurzel gehende Defizite unseres demokratischen Systems zu thematisieren. Denen reicht es völlig aus, die Vorurteile, die ich gerade zu widerlegen suche, und die politischen Formeln, die ich entzaubere, einfach nur zu wiederholen, ohne auf meine Sachargumente einzugehen. Das ist auch sehr viel bequemer und verlangt keinen Durchblick.

WELT ONLINE: Sie schreiben als wissenschaftlicher Autor in einem Ton, der für Fachveröffentlichungen in Deutschland ungewöhnlich ist. Sie erscheinen als ein Solitär – wie sehen Sie sich selbst?

von Arnim: Vom Parteienrecht, von Politikfinanzierung, Diäten und Stiftungsfinanzierung verstehen nicht viele politikwissenschaftliche und staatsrechtliche Kollegen wirklich etwas. Und die meisten arbeiten entweder mit der einen oder anderen politischen Seite zusammen und können deswegen – schon um diese Zusammenarbeit nicht zu gefährden – Mängel, die die politische Klasse insgesamt betreffen nicht wirklich aufspießen. Das dürfte ein Grund sein, warum bisweilen der Eindruck entsteht, bei Missständen, die die politische Klasse insgesamt betreffen, gäbe es nur einen einzigen "Parteienkritiker“. Und der muss sich einer klaren Sprache bedienen, um Gehör zu finden.

WELT ONLINE: Da klingt der Generalvorwurf heraus, die Politikwissenschaft und Journalismus in Deutschland seien nicht unabhängig?
von Arnim: Ein Pauschalvorwurf wäre nicht gerechtfertigt. Aber nehmen Sie das Gros der Europa-Journalisten. Da haben Oldag und Tillack, damals selbst Brüsseler Journalisten, in einem Buch ihren Kollegen vorgehalten, viele seien eigentlich nur ein Sprachrohr der Kommission und unterdrückten auch berechtigte Kritik, weil das die Europa-Idee angeblich gefährde. Auch Landespressekonferenzen fehlt oft die Distanz. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: 1988 hatte der hessische Landtag eine verrückte Diäten- und Versorgungsregelung beschlossen, und fast alle damaligen Wiesbadener Journalisten hatten Beifall geklatscht. Nachdem ich alles gründlich untersucht hatte und darlegen konnte, dass die Regelung völlig überzogen und verfassungswidrig war, war das Gesetz schließlich aber nur dadurch aus den Angeln zu heben, dass ich mit ZDF und "Spiegel" überregionale Öffentlichkeit herstellen konnte. Der CDU-Präsident des hessischen Landtags, Lengemann, und der SPD-Vizepräsident Dr. Lang, die das Gesetz ausgekungelt hatten, mussten zurücktreten. Das Problem mangelnder Distanz gibt es natürlich auch auf Bundes- und auf Gemeindeebene. 

WELT ONLINE: Überschreiten Sie damit nicht die Grenze zwischen Wissenschaft und politischer Intervention? 

von Arnim: Ich meine sogar, dass die Unabhängigkeit, die ein Wissenschaftler genießt, die staatlich finanzierte Unabhängigkeit eines deutschen Professors, nur dadurch überhaupt zu rechtfertigen ist, dass er ohne Scheu auch Missstände, auf die er bei seiner Arbeit stößt, öffentlich macht.

WELT ONLINE: In Amerika sorgt gerade ein parteienkritisches Buch von Joe Klein ("The New Yorker") für Aufsehen. Klein macht die Medienvervielfachung mit für Vordergründigkeit und Unernsthaftigkeit der Politiker verantwortlich. Sie auch?

von Arnim: Die Entwicklung der Medien, gerade auch der elektronischen, hat natürlich gewaltige Rückwirkungen auf die Politik. Das verführt Politiker etwa dazu, Dinge in den Medien zu präsentieren, noch bevor man das in den zuständigen Gremien beschlossen hat. Man weiß, dass die Medien Wert darauf legen, ganz früh informiert zu werden, und kann dann als Politiker damit groß rauskommen. Die politischen Regeln und Abläufe werden dadurch vielfach unterlaufen. Zum Beispiel ist es für Parteimitglieder gar nicht mehr interessant, von Politikern in Parteigremien informiert zu werden. Sie haben alles schon in der Zeitung gelesen. Das ist auch ein Grund für Leute, die nicht unbedingt Politkarrieristen sind, nicht mehr in die Parteien zu gehen.

WELT ONLINE: Warum alarmiert der Mitgliederschwund die Parteieliten nicht?
von Arnim: Der politischen Klasse – das sind voll alimentierte Mandats- und Funktionsträger, die zwar nur zwei Prozent der Parteimitglieder ausmachen, aber in den Parteien das Sagen haben – tut der Verlust von Mitgliedern und der Rückgang der Wahlbeteiligung nicht wirklich weh, denn sie finanzieren sich über die selbst bewilligte staatliche Parteienfinanzierung. Dabei wird oft gar nicht gesehen, dass die Finanzierung der eigentlichen Parteien, also diese 133 Millionen Euro, die sie auch beim Rückgang der Wahlbeteiligung ungeschmälert erhalten, nur ein kleiner Teil ist. Der Betrag wurde vom Verfassungsgericht gedeckelt. In der Folge hat die politische Klasse den staatlichen Geldstrom auf ihre Hilfsorganisationen umgeleitet: auf Parteistiftungen und Parlamentsfraktionen. Auf diese Weise haben die Parteien sich gegen den Rückgang ihrer Mitglieder und der Wahlbeteiligung finanziell immunisiert. 

WELT ONLINE: Entparlamentarisierung, Mediatisierung der Politik, Selbstimmunisierung der politischen Klasse – glauben Sie ernsthaft, das was Sie beklagen, könne irgendwie wieder rückgängig gemacht werden?

von Arnim: Eine Hoffnung könnte auf der Verfassungsrechtsprechung liegen, denn viele Fehlentwicklungen sind verfassungswidrig. Dazu gehört die grassierende Parteibuchwirtschaft, die sich nicht auf Abgeordnete und Regierungen beschränkt, wo sie grundsätzlich legitim ist, sondern auch Gerichte, Verwaltungen und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten erfasst.

Die Haupthoffnung stürze ich auf Elemente der direkten Demokratie, also Volksbegehren und Volksentscheid, die in den Ländern schon überall möglich ist. Die Direktwahl der Bürgermeister die es nun in allen 13 deutschen Flächenländern gibt, wurde auf diesem Weg durchgesetzt. Auch etwa Amtszeitbegrenzungen dürften nur durch Volksbegehren und Volksentscheid zustande kommen.

WELT ONLINE: Von welchem Thema könnte in Deutschland ein Impuls für mehr direkte Demokratie ausgehen?

von Arnim: Gewiß, für Veränderungen muss ein Thema die Wähler auch emotional berühren. Von der Diätenfrage kann so ein Impuls ausgehen, wie vom gesamten Komplex der Politikfinanzierung. Womit man aber vor allem beginnen könnte, ist ein Umbau der Landesverfassungen: Direktwahl des Ministerpräsidenten und bürgernahes Landtagswahlrecht. Dann wäre es zum Beispiel nicht mehr möglich, dass die Nachfolger von Stoiber oder Milbradt im Hinterzimmer ausgekungelt werden, ohne jede Mitwirkung der Wähler. Auch in Hessen hätten wir klare Verhältnisse. Eine solche Reform wäre wiederum nur gegen den Widerstand der politischen Klasse durchsetzbar, aber die Menschen wollen das. Auch in der Staatsrechtslehrer und der Politikwissenschaft geht die große Mehrheit der Stellungnahmen in dieser Richtung.

WELT ONLINE: Dafür müssten Sie größere Bevölkerungsteile politisch in Bewegung bringen. Ginge das mit einem Populismus der Mitte, gibt es so etwas überhaupt?

von Arnim: Man sollte durchaus, auch wenn man in der Mitte steht, das harte, direkte Wort nicht scheuen. Ernst Fraenkel, einer der Väter der bundesrepublikanischen Politikwissenschaft, hat schon vor Jahrzehnten gefordert: Als Wissenschaftler solle man sich nicht scheuen, gerade die Dinge zu thematisieren, über die man nicht spricht. Fraenkel hat das vor Jahrzehnten geschrieben. Man sollte das auch heute noch beherzigen, ohne Rücksicht auf die politische Korrektheit und auch auf die Gefahr des Populismusvorwurfs hin. Das auch extremistische Kräfte mal einen meiner Kritikpunkte aufgreifen, ist doch nur ein Argument mehr, die Mängel abzustellen, um jenen Kräften das Wasser abzugraben.

WELT ONLINE: Sind Sie ein Idealist?
von Arnim: Ein bisschen schon, wahrscheinlich. Aber nicht in dem Sinn, dass ich die Realität nicht sehe. Wir müssen darum kämpfen, die Kluft zwischen Norm und Wirklichkeit nicht allzu groß werden zu lassen. Und dazu kann und muss auch die Wissenschaft ihren Beitrag leisten. Sie muss sich einmischen.
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